Fünf Fragen an… den Waldexperten Volker Ziesling

1. Wie ist der Zustand des Speyerer Stadtwaldes deiner Meinung nach?

Der Wald der Stadt Speyer leidet strukturell. Durch jahrzehntelange Übernutzungen sind die Holzvorräte dramatisch abgesunken. So lagen die Einschläge in den Jahren 1992 bis 2003 um 17 % (Quelle: Audit der Firma SGS), in den Jahren 2003 bis 2013 um 124 % (Quelle: Forsteinrichtungsbericht) über dem nachhaltigen Hiebssatz und auch ein von den Grünen veranlasstes Sonderaudit im Jahr 2020 hat eine Überschreitung des Hiebssatzes um 39 % (Quelle: Sonderaudit der Firma GFA) ergeben. Da Holz nur an Holz wächst, ist der Stadtwald substanziell ausgeblutet. Entsprechend gering sind die durchschnittlichen Holzvorräte auf einen Hektar Waldfläche bezogen. Sie liegen in Speyer bei etwa der Hälfte des bundesweiten Durchschnitts und etwa bei einem Drittel im Vergleich zu Naturwäldern.

Die Übernutzung des Waldes hat diesen gegenüber den Folgen des Klimawandels anfällig gemacht. Auf den ersten laienhaften Blick erscheinen die Wälder der Stadt ganz vital. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass absterbende Bäume dem System sofort entzogen werden, obwohl sie als Nährstoffspeicher und als Biotopbäume dringend gebraucht würden.

2. Wie müsste deiner Meinung nach der Wald bewirtschaftet werden, bzw. darf er überhaupt noch bewirtschaftet werden?

Die Mehreinschläge von Holz der letzten Jahrzehnte müssen dringend ausgeglichen werden. Das bedeutet einen Einschlagsstopp von mindestens 20 Jahren, um die Verluste wieder annähernd auszugleichen. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage, ob die neuen Herausforderungen an das stadtnahe Waldökosystem eine Bewirtschaftung in bisherige Sinne überhaupt noch erlauben. Ich meine, dass Klimawandel und Grundwasserverknappung in der Zielkaskade die größten Herausforderungen für die Menschheit geworden sind. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich ein ohnehin gestresstes Waldökosystem mit forstlichen Maßnahmen zu belasten. Der Wald braucht gerade in dieser Phase Ruhe und verträgt den forstlichen Aktionismus nicht mehr. Wir sollten die Produktion von Holz vollständig einstellen. Einzige Ausnahme sollten unabdingliche Verkehrssicherungsmaßnahmen und die Eindämmung der sich ausbreitenden gebietsfremden Baumarten, wie Götterbaum, Traubenkirsche, Robinie und Roteiche sein.

3. Wie können die Speyrer Bürger dem Stadtwald helfen?

Die Bürger*innen der Stadt sollten ihre Stimme erheben und die Verantwortlichen permanent auffordern, die richtigen Dinge zu tun. Jahrzehntelang wurde ein rechtswidriger Zustand durch Beschlüsse des Stadtrates geduldet. Nur öffentlicher Druck auf die Stadtspitze, das Umweltamt und den Stadtrat kann zu einer Verhaltensänderung führen. Zahlreiche Bürger*innen haben sich bei mir bereits gemeldet, die sich ebenfalls große Sorgen um ihren Stadtwald machen.  Missstände werden dann abgestellt, wenn der öffentliche Druck steigt. Daher bitte ich alle: Schreiben Sie die Stadtspitze, das Umweltamt, die Stadträt*innen an, schreiben Sie Leserbriefe und formulieren Sie ihre Sorgen in den sozialen Medien, um eine Verhaltensänderung bei den Entscheider*innen herbeizuführen.

4. Wie wird der Wald am Ende der Dekade aussehen, wenn die Bewirtschaftungsart nicht geändert wird?

Projektionen sind immer mit Unsicherheiten belastet, aber bei einer Fortschreibung des Wetterverlaufes der vergangenen drei Jahre wird der Wald unter einen zunehmenden Dürrestress geraten. Neben der Dürre wirken die Temperaturspitzen auch unmittelbar. Bei einer Fortführung der bisherigen Wirtschaftsweise sinkt die Transpirationsleistung und damit der Kühlungseffekt es Waldinnenklimas. Neophyten, gebietsfremde Arten, werden einige Lücken schließen und es breiten sich Sekundärwälder aus. Die durch Harvester geschlagenen Schneisen und die Auflichtung der Waldbestände führen zu einer erhöhten Einstrahlung in die Wälder mit höheren Verdunstungsquoten und einer künstlich erzeugten Hitzebelastung der Bäume, die nach Projektionen forstlicher Versuchsanstalten in den nächsten Jahren ausfallen werden. Das System wird einen Kipppunkt erreichen und implodieren. In der Folge droht eine Versteppung unserer Wälder, wir sie bereits in den Wäldern südlich von Frankfurt bereits jetzt zu beobachten ist.

 

5. Wie sollte der Wald am Ende der Dekade aussehen, wenn er genauso bewirtschaftet/ sich selbst überlassen würde, wie es erforderlich wäre?

Voraussetzung für eine zielgerichtete Behandlung unseres Stadtwaldes ist zunächst ein Einvernehmen zu den Zielen der Waldbehandlung. Dieser Diskussion verschließt sich die Stadtspitze, das Umweltamt und auch der Stadtrat. Meines Erachtens liegt in der Zielkaskade die Ziele Erhalt der Vegetationsform Wald, der lokale Klimaschutz für die Stadt Speyer, die Kohlenstoffbindung, der Erhalt der Biodiversität und die Erholung der Stadtbevölkerung ganz weit vorne. Die Produktion von Holz, die ohnehin keinen Deckungsbeitrag erzielt und durch Steuermittel finanziert wird, steht in Konkurrenz zu den vielfältigen Anforderungen an den neuen Wald und muss baldmöglichst eingestellt werden. Eine Hiebsruhe wird den Holzvorrat langsam anwachsen lassen. Bei einem jährlichen Holzzuwachs von 6 Festmetern pro Jahr wird es etwa 20 Jahre dauern, bis wir einen annähernd klimastabilen Wald entwickelt haben. Dies sollte auf der Basis der potentiell natürlichen Waldgesellschaft erfolgen und erfordert einen sukzessiven Auszug der sich explosionsartig ausbreitenden Neophyten, Pflanzenarten aus anderen Florenelementen.